Nietzsche gelesen von René Girard: Opfer, Gewalt und das Heilige

Ein Vergleich zwischen «archaischer Opferweisheit» und «jüdisch-christlicher Entmystifizierung» in Genealogie der Moral di Nietzsche im Lichte der Lektüre von René Girard, zentriert auf die vermeintliche ursprüngliche Heiligkeit des sogenannten «Opfermechanismus» in archaischen Gesellschaften.

di Lorenzo Cerani

Abgesehen von den Anschuldigungen, denen sie in Frankreich und anderswo ideologisch ausgesetzt war [1], die Arbeit von Nietzsche es sticht auch heute noch in seiner ganzen Radikalität aus der philosophischen Szene hervor und bietet sich dem Blick des aufmerksamen Lesers an, der durch seine Seiten blättert, um sich inspirieren zu lassen. Sein theoretisches Vermächtnis sei zu oft von den falschen Interpreten gepriesen worden, argumentierte er überzeugend René Girard (1923-2015), die ihn zur antireligiösen Scholastik des XNUMX. Jahrhunderts bekehrten und ihn als Vorläufer des philosophischen Atheismus und der Metaphysikkritik fetischisierten.

Mit zu viel Nachlässigkeit haben wir versucht, Nietzsche wieder in den Bereich der oberflächlichsten Interpretationen zu bringen, die im Namen von Klischees wie „Schwachdenker“, „Vitalist“ etc. Die mit dem Zeitgeist weniger vereinbaren Aspekte verneinte Girard in einem gemeinsam mit seinem Schüler verfassten Band Josef Fornar [2]Nietzsche wurde so zu einem sicheren Hafen für die philosophische Kritik der jüdisch-christlichen Religion, zu einem ikonischen Autor für seine Peitschenhiebe auf die bürgerliche Moral und einbalsamiert in eine streng antimetaphysische und materialistische Haltung.

Friedrich Nietzsche, Porträt

Il Nietzsche entfernt, für Girard, würde resultieren von der philosophischen Kultur als Sühneopfer geopfert und vertrieben der zu sehr in seine Fußstapfen treten möchte, seinen Theorien nachspüren und seinen Positionen nacheifern möchte, ohne die Fakten zu kennen, und seine Intuition von der Ausnahmenatur der Religiosität, die in der Heiligen Schrift zum Ausdruck kommt, vergessen würde. Gerade diesen von den bis heute herrschenden Deutungen verdrängten und verworfenen Nietzsche galt es neu zu bewerten, die Grauzonen und die intim zerrissenen Widersprüche aufzuzeigen, die seinen Gedankengang neu beleuchten, seine unauslotbaren Abgründe aufzeigen zur philosophischen Analyse zurückgewonnen.

Unter Girards Linse ist der unergründliche Abgrund, der von Niccianischer Spekulation in seinen genialen Blitzen trianguliert wird, eins mit heiligmit die Grenzerfahrung der systemischen sozialen Krise, die eine Gemeinschaft betrifft, indem sie sie auseinanderreißt und bis in ihre Grundfesten erschüttert, um am Ende mit der blutige Opferung der Opfer die diese unbändige Kraft besänftigen. Das Heilige, das, wiederum nach Girard, mit der Gewalt zusammenfällt, die innerhalb einer Gemeinschaft entfesselt wird, als Ergebnis des Verschwindens des Systems der Differenzen, das die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen eines menschlichen Konsortiums regelt und das in einer doppelten Übertragung ein Ventil findet (der Aggression auf das Opfer und der Vergöttlichung seines Leichnams nach Vollendung des Opfers) in der Lage, die Gesellschaft zu versöhnen [3].

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René Girard

Nietzsche würde sich damit sogar als Autor mit theologischer Einstellung (in Girards Lesart) erweisen Versuch, das Phänomen Religion zu erklären über negationis scharfe Kritik am Christentum als nicht ganz im Einklang mit dem dionysischen Kult der Antike und unfähig, sich an die Brutalität des Lebens zu halten, ungeeignet für gewaltsame Opfer. Indem er Pfeile auf den bürgerlichen jüdisch-christlichen Glauben seiner Zeit schleuderte, würde er dies gerade dadurch demonstrieren auf dem Grund der archaischen Religion liegt, wie man bei einer Untersuchung der bacchischen Kulte der griechischen Welt sehen kann, eine wilde Gewalt, die nie ganz nachgelassen hat und immer nach dem Blut neuer Opfer dürstet.

Für den genialen Philosophen von Röcken ist das Christentum gerade wegen seines Ausnahmecharakters überaus gefährlich: wie er gleich schreiben wird Genealogie der Moral [4] seine charakteristischste Chiffre würde in bestehenUmkehrung der Gott-Mensch-Opferbeziehung, indem er es Nietzsches erstaunten Augen ermöglichte, an eine ausdrückliche Ablehnung des primitiven gewalttätigen Heiligen zu glauben, sind eine religio die das Heilige entmystifiziert und rationalisiert, indem sie ihre Gewalt anprangert und die Opfer rehabilitiert.

Peter Paul Rubens, Das Opfer des Alten Bundes

Nietzsche hingegen hat während seines gesamten Gedankengangs und trotz sehr starker Zweideutigkeiten, die sein Gewissen durchkreuzen (wie sein doppeltes Urteil über die Parsifal Wagnerian, bemerkt Girard) interpretiert die archaische Weisheit, des primitiven Sakralen, das nach Girards Interpretation mit einer erhabeneren Philosophie der Gewalt zusammenfällt, wie eine Überlegung, die brutale Gewalt feiert.

Wenn es stimmt, dass das epische Gedicht vonIlias, wie er überlegte Weil [5], grundlegende Reflexion der Antike über die Stärke in ihrem entpersonalisierenden Wert, in ihrem unmenschlichen Charakter, Nietzsche träumt davon, ekstatisch in den Kampf der Gladiatorenarena des Daseins einzutauchen und ihre Rücksichtslosigkeit bis zum Äußersten hinzunehmen.

Gegen die von Nietzsche erhoffte Erholung eines entschiedenen Comebacks der entferntesten archaischen Religiosität, die nach Girardschen Analysen auf die Gewaltkult sublimiert vergötterte Sündenböcke sobald ihre kollektive Steinigung vorbei war, auf der anderen Seite des Zauns wäre die christliche Anthropologie und ihre Gewaltlosigkeit, ein Menschenbild, das dem archaischen Heiligen entgegengesetzt ist [6].

Ausgehend von einer eigentümlichen Hermeneutik seines berühmten und oft missverstandenen Aphorismus über die Ankündigung des Todes Gottes kann Girard einen Lichtschimmer in Richtung seiner Theorien über Religion und Anthropologie werfen und zeigen, wie das Gesetz gebrochen hat, welches die Apophthegma befasst sich mit beziehen sich auf Opfermechanismus, bis hin zu seiner Dekonstruktion durch den kulturellen Einfluss des Christentums in Antike und Moderne.

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Der Zentrumsverlust und das Unbehagen des Wahnsinnigen, der den Tod Gottes ankündigt, lassen sich nicht aus dem existentialistischen und atheistischen Vorurteil erklären, für das Nietzsche hier die Säkularisierung der Massen und die bevorstehende Entmannung des Glaubens aufzeigt seine Zeit, wie viel warum Soziologisch ist es durch die christliche Offenbarung nicht mehr möglich, auf den Opfermechanismus zurückzugreifen.

Ausgehend von der kulturellen Bedeutung des Christentums, die bereits in der jüdischen Kultur und im Alten Testament vorhandene Intuitionen radikalisiert, Die Idee des Heiligen der traditionellen Völker taucht umgewertet auf und lässt das völlig moderne Phänomen der „Sorge der Opfer“ entstehen. [7] die überall gerade aufgrund dieser kulturellen Wurzeln vom Schattenkegel des Mythos (der für Girard die gemeinschaftliche Selbstbeschreibung des Massakers am Opfer darstellt) sowie von Verfolgungstexten (Gewaltbeschreibungen) subtrahiert werden gegen Sühneopfer, aber weniger kryptisch und unpräsent wie die Übertragungsmythen der Vergöttlichung) und zur kritischen Aufmerksamkeit aller gebracht.

René Girard

wenn der Opferweisheit archaischer Kulturen stellt andererseits nicht das Problem dar, Opfer nach Bedarf zu opfern, sie aus der menschlichen Versammlung zu vertreiben, um soziale Beziehungen zu zementieren und sie vor der entropischen Erosion zunehmend ansteckender Gewalt zu schützen die jüdisch-christliche Religion eröffnet somit eine andere Beziehung zwischen Mensch und Mensch, eine andere philosophische Anthropologie, die die gewalttätige Logik ersetzt, die auf der Nachahmung sozialer Modelle basiert (die für Girard nach dem Trend von schnell zu Rivalen werden Doppelbindung des batesonischen Gedächtnisses) die Nachahmung des einzigen Nicht-Rivalitätsmodells: Jesus Christus.

Einerseits, so fährt Girard in seiner Analyse fort, sollten wir eine philosophisch-religiöse Reflexion ausfindig machen, die sich von unwissenden Opfern nährt und die ihre aufrichtigste Formulierung in der bisweilen obskuren Philosophie Nietzsches findet (man könnte sich in dieser Hinsicht bescheiden erinnern, als der Denker German schlägt ein Wille zur Macht zurückgehen zu Menschenopfer); Andererseits hätten wir, wenn diese Vision der Dinge durch die christliche Offenbarung ausgefranst ist, die Alternative der Versöhnung und der Liebe zu anderen, was den mimetischen Charakter menschlichen Verhaltens entschärft.

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Wie Girard in einem späteren Text schreiben wird [8], ist es gerade die Abkehr von der Annahme der Wahrheit des Christentums, die Gefahr läuft, die Menschheit dazu zu bringen, ein Allheilmittel aus ihren Konflikten zu suchen eine Sühnegewalt an immer mehr Opfern ein fragileres gesellschaftliches Gerüst als das bisherige zu errichten, weil das archaische Sakrale mit seinen kulturellen Riten inzwischen dem (christlichen) Bewusstsein der Unfruchtbarkeit von Gewalt gewichen ist und Opferlösungen nicht mehr entscheidend sind.

Eine Gewalt, die, so argumentiert Girard, nie aufhört, Männer zu verzaubern, weil sie von Natur aus mimetisch sind, gekennzeichnet in ihrer Hominisierung durch a Tarnüberschuss im Vergleich zu Tieren passabel, um zu Gewalt in unsäglichem Ausmaß zu führen: Nietzsche selbst war verzaubert, indem er seinen Rivalen Wagner zu Ebenen der Verinnerlichung imitierte, die ihn verrückt machten [9].

Eine weitere Gewalt, die in dem oben genannten Band führt natürlicher ad sind eine die Theologisierung des Krieges, die das Auftreten eines totalen Krieges in der Menschheitsgeschichte annimmt sich nach und nach von rechtlichen Rechtfertigungen jeglicher Art und vom Phänomen des Terrorismus lösen, das eine weitere Inkarnation dieser extremen Tendenz im Sinne einer unendlichen Gewalt darstellt, die sich unweigerlich reproduziert, wenn man ihr nachgibt.

Im Hintergrund, regungslos auf uns wartend, fällt die Apokalypse mit der Gefahr zusammenmenschliche Selbstauslöschung vor der Nichtakzeptanz der radikalen Krise des archaischen Sakralmodells, in dem blutige Opfer vollzogen wurden (was in diesem Sinne, nachdem es seine Wirksamkeit verloren hatte, zu derSelbstaufopferung der Menschheit selbst durch Technologie) und die Bekehrung zur christlichen Anthropologie, dem einzigen Heilsanker.


Anmerkungen:

[1] Siehe M. Ferraris, Gespenster Nietzsches. Ein Menschen- und Geistesleben, das die Katastrophen des XNUMX. Jahrhunderts vorwegnimmt, Guanda, Neapel, 2014.

[2] Siehe G. Fornari, R. Girard, Der Fall Nietzsche. Die gescheiterte Rebellion des Antichristen, Marietti, Genua, 2002.

[3] Siehe R. Girard, Gewalt und das Heilige (1972), Adelphi, 2020, Mailand.

[4] Siehe FW Nietzsche, Genealogie der Moral. Ein polemischer Essay (1887), Adelphi, Mailand, 2018.

[5] Siehe S. Weil, Griechenland und vorchristliche Erkenntnisse (1953), Rusconi, Mailand, 1974.

[6] Siehe R. Girard, Von Dingen, die seit Grundlegung der Welt verborgen sind (1978), Adelphi, Mailand, 2020.

[7] Ib., Ich sehe Satan wie einen Blitz fallen (1999), Adelphi, Mailand, 2017.

[8] Ib., Clausewitz auf die Spitze treiben (2007), Adelphi, Mailand, 2008. 9 Ib., Der Fall Nietzsche... zitiert

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